Институт международных исследований МГИМО

Wandel durch Distanzierung: Bundesregierung unter Olaf Scholz und deutsch-russische Beziehungen

Wandel durch Distanzierung: Bundesregierung unter Olaf Scholz und deutsch-russische Beziehungen: Der analytische Bericht / A.Sokolow, W.Worotnikow, A.Davydow; Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO-Universität), Institut für Internationale Studien. — Moskau: MGIMO-Universität, 2023. — 43 S.

Vor einem Jahr nahm die Koalitionsregierung mit Bundeskanzler Olaf Scholz an der Spitze ihre Arbeit auf. Ihre Bildung wurde durch mehrere unerwartete Wendungen in der deutschen Politik verursacht. Anfang des Jahres hatte die SPD noch die geringsten Chancen auf Erfolg und die Bewerbung von Scholz um das Kanzleramt sorgte selbst bei seinen treuen Anhängern für Verwirrung. Die CDU versuchte mit Fiebereifer das Führungsproblem in den eigenen Reihen zu lösen und die Person von Armin Laschet schien mindestens eine akzeptable Nachfolge von Angela Merkel, um die Konservativen bei der Bundestagswahl erneut zum Sieg zu führen. Die Grünen rückten in den Umfragen beeindruckend nach vorne und kamen dem Kanzlerstuhl ab einem gewissen Zeitpunkt näher denn je. Die FDP beanspruchte die Wiederbelebung des “Königmacherstatus” und die Kontrolle über das deutsche Finanzministerium. Alternative für Deutschland und Die Linke wollten zeigen, dass auf sie nicht nur auf regionaler, sondern auch auf Bundesebene Rücksicht zu nehmen ist.

Eine Reihe von Fehlern und Provokationen beraubte letztendlich die Kanzlerkandidaten von der CDU und den Grünen der Chancen auf einen Wahlsieg. Laschet versuchte zwar nach der Veröffentlichung des Wahlergebnisses, zu "Umweltschützern" und Liberalen Brücken zu bauen, doch die Machtwaage kippte in Richtung Sozialdemokraten. Mehr als andere Kanzlerkandidaten schien Scholz den unter Merkel stabilen Wohlstand sicherstellen zu können, indem er die SPD aus einer andauernden Krise herausholte und mit Grünen und Liberalen eine Koalition aushandelte.

Auf den ersten Blick erhielt die Ampelkoalition ein großzügiges Erbe der Merkel-Ära. Deutschland befestigte seine Führungspositionen in der Europäischen Union dank starker Wirtschaft und seiner vorsichtigen Außenpolitik. Wirtschafts- und Migrationskrise wurden zum größten Teil überwunden oder in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gedrängt. Trotz der hohen Umfragewerte der Kanzlerin war in der deutschen Gesellschaft ein gewisser Veränderungsbedarf wahrzunehmen, deswegen wurde die neue sozialdemokratische Regierung wohlwollend begrüßt.

In den letzten Jahren wurden die deutsch-russischen Beziehungen von Krise und Misstrauen geprägt. Dazu trugen nicht nur wachsende Spannungen um die Ukraine-Krise bei, sondern auch generelle Abkühlung zwischen Russland und dem Westen, die sich auf das System der bilateralen Beziehungen Moskaus zu seinen europäischen Partnern auswirkte. Dennoch entwickelten sich die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen trotz des Sanktionsdrucks weiter. Die Gaspipeline Nord Stream 2 stand kurz vor seiner Inbetriebnahme, was Deutschland zum größten europäischen Gasknotenpunkt machen könnte.

Die ersten Schritte der Scholz-Bundesregierung in Russland-Politik zeugten von dem Wunsch, die Politik von Angela Merkel fortzusetzen und dabei ein optimales Gleichgewicht zwischen Werten und Interessen zu wahren. Die Besuche von Außenministerin Annalena Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau ließen im Allgemeinen zur Schlussfolgerung kommen, dass der bilaterale Dialog weiter gepflegt werden soll. Noch überzeugender wirkte der Wunsch von Scholz, bei seinem Treffen mit Joe Biden in Washington Nord Stream 2 in Schutz zu nehmen, wo er dem Druck amerikanischer und deutscher Journalisten widerstehen musste.
Diese vorsichtigen positiven Signale hielten jedoch der Eskalation der Ukraine-Krise im Februar 2022 nicht stand. Geleitet von transatlantischer Partnerschaft, schloss sich Deutschland den neuen antirussischen Sanktionen an, den eigenen wirtschaftlichen Interessen zum Trotz. In wenigen Monaten wurde ein Großteil der deutsch-russischen Bindungen von Berlin auf Eis gelegt oder überhaupt abgebrochen. Das System der deutsch-russischen Zusammenarbeit, das sich einst durch Vielfältigkeit und Tiefe auszeichnete, wurde zerstört.

Längere Zeit wurden die Beziehungen zwischen Russland und Europa und in einigen Fällen zwischen Russland und dem gesamten Westen von der deutsch-russischen Partnerschaft geprägt. Je nach den Umständen konnte Berlin sowohl als Moskaus Fürsprecher als auch als sein schärfster Kritiker auftreten. Die aktuelle Krise in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern ist ein Indikator für tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Weltpolitik in Europa und außerhalb des Kontinents.

Der vorliegende Bericht knüpft an die Erfahrungen von der Analyse der deutschen Innen- und Außenpolitik, die in den Studien „Wahlen zum Bundestag 2021. Wegweiser“ und „Perspektiven der Berliner Außenpolitik und der deutsch-russischen Beziehungen unter Bundeskanzler Olaf Scholz“ des MGIMO-Instituts für Internationale Studien verankert wurden.